IUCN vermeidet Diskussion über Gentechnik in natürlichen Ökosystemen

Während Wissenschaftler:innen und Umweltschützer:innen sich mit synthetischer Biologie auseinandersetzen, blieb eine entscheidende Debatte auf der IUCN-Regionalkonferenz in Brügge, Belgien, aus. Stattdessen traten bei dem Treffen erhebliche Bedenken hinsichtlich des Prozesses zur Entwicklung einer Position der IUCN zur synthetischen Biologie und deren Auswirkungen auf den Naturschutz zutage.

Ein Prozess unter Beobachtung

Obwohl IUCN-Chefwissenschaftler Tom Brooks den Prozess als „den partizipativsten, den die IUCN je hatte“ bezeichnete, schlagen viele Mitglieder Alarm. Bei einer kürzlich abgehaltenen Nebenveranstaltung, die ausdrücklich nur dazu diente, über den Prozess und nicht über die Inhalte der Politik zu sprechen, äußerte Dr. Ricarda Steinbrecher eine Sorge, die in der Naturschutzgemeinschaft weit verbreitet ist: „Das Thema ist so komplex, und es fehlt etwas im Prozess. Wie sollen die Mitglieder 2025 über eine Position zu synthetischer Biologie abstimmen, wenn viele noch nicht wirklich verstehen, was synthetische Biologie bedeutet?“

Der Weg zur Politik: Ein steiniger Pfad

Die Grundstein für den Positionsfindungsprozess wurde 2021 in Marseille mit der Resolution 123 gelegt. Mitglieder beschlossen eine ausgewogene Arbeitsgruppe zu etablieren, die unterschiedliche Perspektiven, Geschlechter, Regionen und Wissenssysteme repräsentiert. Die Umsetzung hat jedoch für Kontroversen gesorgt. Anstatt sich ausschließlich auf diese umfassende Gruppe zu stützen, hat das Sekretariat:

  • Einen separaten „Bürgerrat“ aus nur 15 IUCN-Mitgliedern ins Leben gerufen
  • Eine Partnerschaft mit dem Internationalen Zentrum für Gentechnik und Biotechnologie (ICGEB) für Trainingsworkshops eingegangen – eine Entscheidung, die aufgrund potenzieller Interessenkonflikte für Missbilligung sorgte
  • Kritik von über 80 NGOs auf sich gezogen, die eine Pausierung des Prozesses forderten bis Bedenken hinsichtlich der Teilhabe und Transparenz aus dem Weg geräumt seien

„Wir sind sehr besorgt über die Einbeziehung des ICGEB in die ‚Bürgerversammlung‘ durch die IUCN, da dies einen klaren Interessenkonflikt darstellt“, sagte Nicolas Laarman von POLLINIS in Brügge. „Die starke Voreingenommenheit des ICGEB und seine engen Verbindungen zur Gentechnikindustrie untergraben die Objektivität, die für eine ausgewogene und transparente Behandlung dieser höchst umstrittenen Thematik unerlässlich ist.“

Der aktuelle Entwurf: Mehr Fragen als Antworten

Der finale Positionsentwurf, der genau einen Tag nach dem Kongress veröffentlicht wurde und im Oktober 2025 auf dem Weltnaturschutzkongress der IUCN in Abu Dhabi verabschiedet werden soll, weist erhebliche Mängel auf. Obwohl Nichtregierungsorganisationen bereits zu den ersten beiden Entwürfen Rückmeldungen gegeben hatten, bleibt auch der finale Entwurf nach ihrer Einschätzung ein wirkungsloses „Zero-Impact-Dokument“. Es fehlen klare Verfahren zur Risikobewertung und zur Anwendung des Vorsorgeprinzips.

Zudem verwendet der Entwurf zu weit gefasste Definitionen für synthetische Biologie und vermeidet konkrete Verweise auf spezifische Technologien wie Gene Drives. Stattdessen verlässt er sich auf Einzelfallbewertungen, ohne einen verbindlichen Rahmen zu schaffen. Ein IUCN-Mitglied betonte, dass Transparenz eine explizite Diskussion über Gentechnik in der freien Natur erfordert. Der aktuelle Ansatz birgt das Risiko, ein Dokument zu schaffen, das von Regierungen, Industrie und anderen Interessengruppen unterschiedlich interpretiert werden könnte.

Zeit zum Handeln

Das Zeitfenster für eine sinnvolle Debatte schließt sich schnell. Eine wachsende Koalition von NGOs mobilisiert sich bereits, um für eine IUCN Position zu kämpfen, die ökologische und ethische Standards in den Vordergrund stellen. Die Pressemitteilung und das Briefing zu diesem Regionaltreffen finden Sie hier, einschließlich Möglichkeiten zur Mitwirkung.