Online-Veranstaltung zu Gene Drives: Mit gentechnischer Ausrottung Menschen und Natur schützen?

Ricarda Steinbrecher, Genetikerin und Vorstandsmitglied des European Networks for Scientists for Social and Environmental Responsibility (ENSSER) betonte, dass es – vor allem zum aktuellen Zeitpunkt – schwer bis unmöglich sei, verlässliche Vorhersagen über die Auswirkungen einer zukünftigen Anwendung von Gene Drives zu machen. Schließlich setze man Organismen frei, die dann selbstständig in der Natur die gentechnischen Veränderungen in jeder Generation von Neuem vornähmen. „Jedes Mal können Fehler eingebaut werden. Jedes Mal kann etwas Anderes noch dazu kommen.“ Um den Erhalt der Biodiversität zu gewährleisten, müsse man sich neue Technologien wie Gene Drives sehr genau anschauen, um sicherzustellen, dass von ihnen keine Risiken für die Ökosysteme ausgingen. Deshalb setzte sie sich bei den internationalen Verhandlungen um die Regulierung der Gene Drive Technologie bei der UN Biodiversitätskonvention stark für das Vorsorgeprinzip ein. Als langjährige wissenschaftliche Beraterin und Teilnehmerin von Expertengruppen innerhalb der UN Biodiversitätskonvention berichtete sie, dass es eine starke Einflussnahme von Lobbygruppen auf diese Expertengremien gebe: So habe die Bill & Melinda Gates Stiftung, einer der Hauptfinanziers der Technologie, 1,6 Millionen. Dollar in eine PR-Agentur gesteckt, um die Akzeptanz von Gene Drives zu erhöhen. Sie schlussfolgerte: „Der Druck das umzusetzen ist nicht angemessen, gegenüber dem Risiko.“

Ali Tapsoba de Goamma, Menschenrechts- und Umweltaktivist aus Burkina Faso und Sprecher eines 40 Organisationen umfassenden zivilgesellschaftlichen Zusammenschlusses für Agrarökologie und gegen Gene Drives (CCAE) berichtete, dass in Burkina Faso seit 2012 das Projekt Target Malaria Faso Vorbereitungen treffe, um mittels Gene Drives malariaübertragende Mücken zu dezimieren. Im Jahr 2019 hätten erste Freiland-Tests mit gentechnisch veränderten, nicht fortpflanzungsfähigen männlichen Mücken stattgefunden, die jedoch noch keinen Gene Drive in sich getragen hätten. Ali Tapsoba de Goamma kritisierte, dass Target Malaria sich für diese Tests zwar das Einverständnis der Regierung und der Dorfvorsteher, nicht aber die Zustimmung der gesamten Bevölkerung von Burkina Faso eingeholt habe. Vielmehr hätten sie es sich zu Nutzen gemacht, dass es in den lokalen Dörfern so viele Analphabeten gebe. Die Mehrheit der Menschen in Burkina Faso sei gegen diese Experimente. Er warf die Frage auf: „Warum probiert man das nicht erst in wissenschaftlich besser ausgestatteten Ländern, sondern in Burkina Faso?“ Aus seiner Sicht sei Burkina Faso in der Lage, die Malaria selbst zu bekämpfen. Dafür brauche es keine Gene Drives, sondern ein gutes Gesundheitskonzept.

Dr. Andreas Wulf, Arzt und Referent für globale Gesundheit bei der medizinischen Nothilfeorganisation Medico International betonte, dass es bei Epidemien wie Malaria auf langfristige Strategien ankäme. Die Idee, eine solche Krankheit mit dem einmaligen Einsatz einer Technologie ohne fortgeführtes Engagement lösen zu wollen, sei bedenklich. Man dürfe sich nicht auf einen solchen „technologischen Fix“ verlassen. Im Gegenteil habe die Erfahrung bei der Bekämpfung anderer Epidemien gezeigt, dass es für den Erfolg der Maßnahmen darauf ankomme, gut mit den Menschen vor Ort zusammenzuarbeiten und lokale Lösungen zu finden. Darüber hinaus kritisierte er aus demokratischer Sicht: „Es ist ein Problem, dass diesen privaten Akteuren, den Unternehmen / Stiftungen so viel Entscheidungsmacht zugesprochen wird. Eine Handvoll Menschen entscheiden, in welchen Bereich der Forschung investiert wird. Zudem wird auch die mediale Berichterstattung zur Forschung von diesen Stiftungen finanziell begleitet.“ Es brauche eine Einbettung dieser privaten Gelder in die öffentlichen Gesundheitssysteme schlussfolgerte Dr. Andreas Wulf.

Mareike Imken, Leiterin der Stop Gene Drive Kampagne von Save Our Seeds legte dar, dass sie mit der europäischen Kampagne, welche von vielen Organisationen europaweit unterstützt werde, eine kritische Diskussion in Gesellschaft und Politik darüber anstoßen wolle, „ob und wenn ja, unter welchen Umständen wir diese Technologie nutzen wollen und welche Einschränkungen sie braucht.“
Sie erklärte weiter: „Mit Gene Drives bekommen wir als Menschheit ein Werkzeug an die Hand, um wildlebende Arten gezielt auszurotten oder zu verändern. In Zeiten eines für die Menschheit existenziellen Artensterbens ist dies zu bedenken und ethisch zu diskutieren. Das sollte nicht leichtfertig von wenigen entschieden werden.“ Auch stellt sie heraus, dass "das Wissen zu Gene Drives noch nicht weit genug fortgeschritten“ ist.
Um Zeit für diese Diskussion, vertiefte Risikoforschung incl. Technikfolgenabschätzung und die Entwicklung international gültiger Regeln und Entscheidungsmechanismen zu haben, brauche es ein globales Moratorium auf die Freisetzung von Gene Drive Organismen. Dieses müsse bei der nächsten Vertragsstaatenkonferenz der UN Biodiversitätskonvention (COP 15) beschlossen werden, um erste Freisetzungsversuche aufzuschieben und abzusichern.

 


29 deutsche Organisationen für globales Gene Drive Moratorium

In einem gemeinsamen offenen Brief, der am 19.02.2020 an die Ministerinnen Karliczek, Klöckner und Schulze versendet wurde, forderte ein Bündnis aus 29 deutschen Organisationen die Bundesregierung dazu auf, sich bei anstehenden internationalen Verhandlungen für ein globales Gene Drive Moratorium auszusprechen.

Anlass für den gemeinsamen Brief war, dass in Bezug auf die Gene Drive Technologie in den nächsten Monaten wichtige Entscheidungen anstehen: Bei der im Oktober stattfinden Vertragsstaatenkonferenz der UN-Biodiversitätskonvention in China wird die Bundesregierung im Rahmen Ihrer EU-Ratspräsidentschaft eine wichtige Rolle spielen. Auch bereits bei den vorab stattfindenden Expert*innenkonferenzen, darunter vor allem der SBSTTA 24 im Mai, kann die Bundesregierung entscheidende Weichen für die Regulierung dieser Technologie stellen. Zusätzlich findet derzeit innerhalb der Weltnaturschutzorganisation IUCN ein Konsultationsprozess statt, in dem alle IUCN-Mitglieder, darunter Deutschland, aufgefordert sind, bezüglich des Resolutionsentwurfs 075 zur Rolle der synthetischen Biologie (einschließlich Gene Drives) für den Schutz der Artenvielfalt Kommentare beizusteuern. Diese Resolution soll die Grundlage für einen inklusiven Diskussionsprozess innerhalb der IUCN bieten, in dem sich deren Mitglieder über die mögliche Rolle von Anwendungen der synthetischen Biologie, darunter Gene Drives für den Schutz der Artenvielfalt austauschen sollen. Beim IUCN Weltkongress 2024 will die Weltnaturschutzorganisation dann seine offizielle Position dazu abstimmen.
Das Bündnis fordert die Bundesregierung in ihrem Brief dazu auf, dem Votum des Europäischen Parlaments vom 16. Januar 2020 zur CBD COP 15 zu folgen, in dem das Europäische Parlament die EU in einem Entschließungsantrag dazu aufforderte, zum Schutz der weltweiten Artenvielfalt bei der nächsten Vertragsstaatenkonferenz der UN-Biodiversitätskonvention einen globalen Freisetzungsstopp (moratorium) für Gene Drive Organismen in die Natur zu fordern, um verfrühten Experimenten mit der Technologie in der Natur vorzubeugen.

Zum Bündnis-Brief

Europaparlament fordert globales Gene Drive Moratorium!

Bei seiner Plenarsitzung am 16.01.2020 hat das Europäische Parlament seine Position für die 15. Vertragsstaatenkonferenz der UN-Biodiversitäts- konvention (COP 15 CBD) festgelegt. In ihrer Resolution fordern die Europa- parlamentarier*innen die EU dazu auf, sich bei den im Oktober anstehenden internationalen Verhandlungen der CBD für ein globales Gene Drive-Moratorium einzusetzen.

Mit einem gemeinsamen Brief hatte ein EU-weites Bündnis von über 50 NGOs, darunter Greenpeace, Friends of the Earth Europe und IFOAM EU, die Abgeordneten im Vorfeld dazu aufgerufen, für entsprechende Änderungsanträge zu stimmen.

Die nächste Vertragsstaatenkonferenz der CBD im Oktober 2020 in China könnte einer der letzten Momente sein, um geplante Freisetzungen von Gene Drive Mücken durch das Projekt Target Malaria zu unterbinden. Eine Freisetzung von Gene Drive Organismen würde eine unkontrollierbare Ausbreitung der auf neuartige weise gentechnisch veränderten Organismen verursachen – und eine globale Ausbreitung und unwiderrufliche Veränderung oder Schädigung von Ökosystemen zur Folge haben. Da es bis dato keine Möglichkeit gibt, einmal freigesetzte Gene Drive Organismen wieder aus der Natur zu entfernen oder Veränderungen und Schäden in Ökosystemen, Nahrungsnetzen und an der Artenvielfalt rückgängig zu machen, widerspricht eine solche Freisetzung dem Vorsorgeprinzip. Dieses wurde eigens von der CBD zum Schutz der Artenvielfalt geschaffen und ist die Grundlage des europäischen als auch deutschen Naturschutzrechts.

Save Our Seeds hatte sich im Jahr 2019 für die Einbringung dieser Änderungsanträge im Europaparlament stark gemacht und unterstützte als Teil eines starken Bündnisses aus deutschen NGOs, Stiftungen und Expert*innen die Forderungen des Briefes und die Unterstützung von nun angenommen Änderungsanträgen, die zum Ziel hatten:

  • eine Freisetzung von Gene Drive Organismen in die Natur zu unterbinden
  • die Anwendung und rechtliche Stärkung des Vorsorgeprinzips im der neu zu schaffenden UN-Rahmenkonvention für die Artenvielfalt nach 2020 unterstützen
  • eine vorbeugende Technikfolgenabschätzung, technologische Vorausschau (Horizon Scanning) und Überwachung (Monitoring) für neue Technologien wie Gene Drives vorzuschreiben
  • die Wahrung von Rechten auf eine informierte vorherige Zustimmung lokaler Gemeinschaften und indigener Völker vor einem Einsatz risikoreicher Technologien in ihrer Umwelt zu gewährleisten

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