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Gentechnik im Naturschutz? IUCN leitet Positionsfindung ein
Gentechnik im Naturschutz? IUCN leitet Positionsfindung ein
Am Freitag, den 10.09.2021, stimmte die Weltnaturschutzunion IUCN auf ihrem Weltkongress über einen umstrittenen Antrag ab, der einen breit angelegten Positionsfindungsprozess zum Einsatz der synthetischen Biologie, einschließlich der Nutzung von Gentechnik und Gene Drives im Naturschutz in den nächsten drei Jahren unter IUCN Mitgliedern einleiten soll.
Bis zum kommenden IUCN Weltkongress im Jahr 2024 will die IUCN auf diesem Weg eine Position zum Umgang mit den neuen technologischen Möglichkeiten der synthetischen Biologie im Kontext ihrer Naturschutzbemühungen formulieren. In diesem Zusammenhang relevante Anwendungen der synthetischen Biologie umfassen beispielsweise die synthetische Produktion naturidentischer Produkte im Labor, Vorschläge zur Bekämpfung von Schädlingen mittels Gentechnik (z. B. RNAi-Sprays oder Paratransgenese) in der Landwirtschaft oder die gentechnische Manipulation von wildlebenden Arten wie Insekten, zum Zwecke der Krankheitsbekämpfung (z. B. aber nicht ausschließlich mittels Gene Drive). Besonders kontrovers: Befürworter*innen und Entwickler*innen gentechnischer Verfahren sehen sogar die Möglichkeit, Anwendungen der synthetischen Biologie auch gezielt für Naturschutz zu entwickeln, z. B. für die Bekämpfung invasiver Arten mittels Gene Drive.
Bestimmungen der Resolution 075
Die Resolution legt fest, dass sich die IUCN (z.B. in internationalen Foren wie der CBD) bis zur förmlichen Verabschiedung dieser IUCN-Position beim folgenden IUCN Weltkongress im Jahr 2024 zu allen Aspekten der synthetischen Biologie neutral zu verhalten muss, auch wenn dabei sich im Laufe des Prozesses neue Erkenntnisse ergeben.
Mit der Verabschiedung der Resolution 075 erkannten die Mitglieder der IUCN an, dass es große Daten- und Wissenslücken sowie ungelöste ethische, soziale, kulturelle und ökologische Fragen im Zusammenhang mit der Nutzung von Technologien gibt, die derzeit zur gentechnischen Veränderung wildlebender Arten entwickelt werden. Die Resolution 075 legt fest, dass diese Ungewissheiten eine Anwendung des Vorsorgeprinzips erfordern und bei der Positionierung der IUCN zu diesem Thema berücksichtigt werden müssen. Besonderes Augenmerk beim gemeinschaftlichen Wissensaufbau soll deshalb auf die Identifizierung von Wissenslücken, Datenmängeln und wissenschaftlichen Unsicherheiten gelegt werden, die eine Bewertung der Auswirkungen von bestehenden und möglichen zukünftigen Anwendungen der synthetischen Biologie (einschließlich Gene Drives) im Kontext des Naturschutzes unmöglich machen. Diesbezüglich sollen insbesondere offene Fragen und Herausforderungen in ökologischer, konzeptueller, rechtlicher, sozio-ökonomischer, kultureller und ethischer Hinsicht formuliert und zusammengetragen werden. Zu diesem Zweck sollen insbesondere den Perspektiven, dem Wissen und den Rechten indigener Völker und lokaler Gemeinschaften ein hoher Stellenwert eingeräumt werden.
Mareike Imken, Koordinatorin der europäischen Stop Gene Drive Kampagne, begrüßt das Bekenntnis der IUCN zum Vorsorgeprinzip und ihre Absicht, unter ihren Mitgliedern eine Prozess zur Diskussion und Verständigung über den Einsatz gentechnischer Verfahren für den Naturschutz einzuleiten.
“Ein breiter und inklusiver Diskussionsprozess der IUCN wird entscheidend dafür sein, das Bewusstsein der IUCN-Mitglieder dafür zu schärfen, dass der Eingriff in die natürlichen Evolutionsregeln durch die Anwendung der Gene-Drive-Technologie eine neue Dimension des Eingriffs in die natürliche Welt darstellt und deren irreversible Veränderung mit sich bringt.”
Die Verhandlungen um diese umstrittene Resolution waren geprägt von zwei Polen: zivilgesellschaftliche Gruppen, die die IUCN aufforderten, die Freisetzung von Organismen der synthetischen Biologie nicht zu unterstützen versus Befürworter der Gene-Drive-Technologie, die sich dafür einsetzten, dass synthetische Biologie, einschließlich der Gene-Drive-Technologie, als Instrument für den Naturschutz akzeptiert wird.
Zu unserer Pressemitteilung auf Englisch.
Was ist synthetische Biologie?
Mit dem Überbegriff synthetische Biologie werden gentechnische Verfahren bezeichnet, die biologische Komponenten oder natürliche Abläufe umbauen, neu synthetisieren oder auf eine Art verändern, wie sie natürlicherweise nicht vorkommen. Anwendungen der synthetischen können entweder ausschließlich in geschlossenen Systemen/Laboren genutzt werden, oder auch darauf abzielen, sie in offenen natürlichen Systemen zu nutzen und dabei mittels Gentechnik wildlebende Arten und Ökosysteme zu verändern – zum Beispiel über das kontroverse Verfahren der Gene Drives.
Hintergrund zur Abstimmung der Resolution 075 in der IUCN
Eine kleine Gruppe von Befürwortern der synthetischen Biologie, die in der IUCN aktiv ist, argumentiert, dass die Gene-Drive-Technologie für Naturschutzzwecke genutzt werden sollte. Ein Beispiel dafür ist das Projektkonsortium Genetic Biocontrol of Invasive Rodents (GBIRd), dem auch die IUCN-Mitgliedsorganisation Island Conservation angehört und das mit Gene Drive ausgestattete Mäuse entwickelt, die auf Inseln ausgesetzt werden sollen – angeblich, um die Mäuse auszurotten, die Vögeln schaden.
Mit der IUCN-Resolution “WCC-2016-Res-086”, die auf der IUCN-Mitgliederversammlung in Hawaii 2016 verabschiedet wurde, wurde die IUCN beauftragt, bis 2020 eine Richtlinie zur Synthetischen Biologie und zum Schutz der biologischen Vielfalt zu entwickeln. Sowohl IUCN-Mitglieder als auch Mitglieder zivilgesellschaftlicher Organisationen haben jedoch die Art und Weise kritisiert, wie dieser Plan umgesetzt wurde. Sie wiesen darauf hin, dass das Bewusstsein der IUCN-Mitglieder für die grundlegenden Fragen, die eine solche IUCN-Position aufwerfen würde, derzeit unzureichend ist. Darüber hinaus wurde kritisiert, dass der IUCN-Bewertungsbericht “Genetic Frontiers for Conservation”, der größtenteils von Befürwortern der Technologie verfasst wurde, keine ausreichende Grundlage für die Abstimmung über eine solche Politik bietet.
Zur gemeinsamen Pressemitteilung vom 4.09.2021 mit dem Deutschen Naturschutzring (DNR)
Zum Hintergrund der Diskussionen um Resolution 75 in der IUCN
Zu unserem Briefing für IUCN Delegierte zu Resolution 075
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Weitere Publikationen zum Thema
ETC Group 2019: A review of the evidence for bias and conflict of interest in the IUCN report on synthetic biology and gene drive organisms.
Testbiotech 2019: Testbiotech comment on the IUCN report “Genetic frontiers for conservation, an assessment of synthetic biology and biodiversity conservation.
Exhibition stall „Stop Gene Drives“
Saturday, 4.09.2021 – Friday, 10.09.2021 // 10.00h – 22.00h CET
in the IUCN World Congress Exhibition, Neutral zone – Stall A 2
Interview with Mareike Imken
Gene drive technology carries high risks. Yet it is being promoted by the Bill & Melinda Gates Foundation as a solution to malaria. On the occasion of World Malaria Day, the Stop Gene Drives campaign is launching a project that presents different perspectives on the issue of malaria control and presents alternative, possibly less risky approaches and innovations to combat malaria.
In this interview Mareike Imken, coordinator of the European Stop Gene Drives Campaign explains the reasoning behind this project.
Ms. Imken, why does the Stop Gene Drive Campaign provide information about malaria control options?
As part of the Stop Gene Drive campaign, we want to help decision-makers and the general public to classify the risks and potential of gene drive technology in contrast to alternative measures and innovations for malaria control. To this end, we will present different approaches and perspectives on malaria control throughout 2021.
What does Gene Drive technology have to do with malaria?
Gene Drive technology aims to genetically modify or eradicate the malaria-carrying Anopheles mosquito. The Bill & Melinda Gates Foundation in particular is pushing ahead into this technology as part of its "Target Malaria" program. The first field trials could take place in Burkina Faso, Mali, Uganda and Ghana in the next 5-10 years. But such release trials carry high risks: Even small-scale release trials could result in irreversible genetic modification or eradication of wild mosquito populations. However, the consequences for the environment, biodiversity, food production, and human health are neither studied nor foreseeable.
What is the goal of the Stop Gene Drive campaign?
With the Stop Gene Drive campaign, we want to stimulate a broad social debate about the fundamental intervention in nature that would be associated with the application of gene drive technology. We need time for such a fundamental debate instead of being presented with a fait accompli in the next few years. That is why a broad alliance of civil society organizations in the EU and worldwide is calling for a global moratorium on release trials of genetically modified Gene Drive mosquitoes. Such a moratorium would buy humanity time to meet minimum requirements for the use of such a high-risk technology. That is, model the risks of the technology in the laboratory and weigh them against the risks and benefits of alternative measures. In addition, establish the international regulations and decision-making procedures that have been lacking to date.
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These are the interviews on the topic held so far with the following experts:
Andreas Wulf, physician and expert for global health policy at Medico International in the Berlin office, provides his views on the role of the Bill & Melinda Gates Foundation in international health policy and his outlook on necessary conditions for the implementation of the human right to health in Africa.
Click here for the interview
Ali Tapsoba de Goamma, human rights activist, and spokesman for an alliance in Burkina Faso against the release of Gene Drive mosquitoes in his home country, on the malaria control measures implemented so far and the attitude of the local population towards the planned field trials with Gene Drive mosquitoes.
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Pamela J. Weathers, professor and researcher at Worcester Polytechnic Institute in Massachusetts, USA, on the efficacy and controversial safety of Artemisia tea infusions for treating or preventing malaria.
Click here for the interview
Arnaud Nouvion, consultant and Lucile Cornet-Vernet, co-founder of La Maison de L’Artémisia, describe the potential benefits of the Artémisia plant and state that more funding is needed to conduct clinical studies, proving once and for all that the plant is a great tool in the fight against malaria.
Click here for the interview
More interviews to follow.