Ökologische Risiken
Gene Drives befinden sich in einem frühen Stadium der Entwicklung, die Diskussion über mögliche Folgen und Risiken ist daher in weiten Teilen noch spekulativ. Doch bereits jetzt zeichnen sich zahlreiche kritische Punkte ab, die vor einer möglichen Freisetzung berücksichtigt werden müssen.
Unkontrollierbarkeit
Einmal in die Natur freigesetzt, verbreitet sich ein Gene Drive Organismus aktiv in freilebenden Populationen und kann sich rasch über große Distanzen ausbreiten. Die unüberschaubare Vielfalt der betroffenen natürlichen Lebensräume und Ökosysteme wird die Vorhersage und Kontrolle möglicher Risiken massiv erschweren.
Die US-Akademie der Wissenschaften hatte daher 2016 empfohlen, Gene Drive Organismen zuerst auf kleinen und abgelegenen Inseln zu testen.1 Modellrechnungen zeigen jedoch, dass diese Form der isolierten Erprobung kaum ausreichen würde: Einzelne GDO können durch Wasser, Wind oder unbeabsichtigten Transport in andere Regionen gelangen und den Gene Drive weiterverbreiten.2
Zudem könnte der GDO mit Absicht verschleppt werden, wie ein Präzedenzfall aus dem Jahr 1997 zeigt: In Neuseeland setzten Landwirte eigenmächtig ein gefährliches Virus frei, um eine grassierende Kaninchenplage zu bekämpfen.3
Eine Forschergruppe rund um den Gene Drive Entwickler Kevin Esvelt vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston, (USA), arbeitet an einer Gene Drive Variante, die in ihrer räumlichen Ausbreitung begrenzbar sein soll. Diesen Gene Drive nennen sie Daisy Chain Drive.4 Diese Gene Drive Variante existiert bislang allerdings nur in der Theorie. (Siehe Abbildung)
Einmal in die Natur freigesetzt, verbreitet sich ein Gene Drive Organismus aktiv in freilebenden Populationen und kann sich rasch über große Distanzen ausbreiten. Die unüberschaubare Vielfalt der betroffenen natürlichen Lebensräume und Ökosysteme wird die Vorhersage und Kontrolle möglicher Risiken massiv erschweren.
Unumkehrbarkeit
Ein Gene Drive verursacht eine permanente gentechnische Veränderung des Erbguts, die an alle nachfolgenden Generationen weitervererbt wird. Selbst wenn ein Gene Drive auf Resistenzen trifft und sich nicht mehr aus eigener Kraft verbreitet, werden diese Veränderungen weiterhin nach den Mendelschen Regeln vererbt und überdauern noch lange im Erbgut der Population. Nur wenn der deaktivierte Gene Drive die Überlebensfähigkeit der Individuen stark beeinträchtigt, greifen die Mechanismen der natürlichen Auslese, die die Veränderung in den natürlichen Populationen wieder eliminieren könnten.
Bereits im Jahr 2014 startete eine Diskussion um die Notwendigkeit eines sogenannten Reversal Drive, mit dem die Änderungen eines Gene Drive in den manipulierten Populationen wieder zurückgenommen werden sollen. Es handelt sich dabei im Prinzip um eine modifizierte Variante des ursprünglichen Gene Drive, die allerdings die genetischen Manipulationen wieder überschreibt und deren weitere Verbreitung verhindert. Doch auch solch ein Reversal Drive könnte den ursprünglichen genetischen Zustand der Population nicht wiederherstellen, sondern nur weitere gentechnische Veränderungen in das Erbgut dieser Populationen einführen.
Nach heutigem Wissensstand birgt jede Freisetzung eines Gene Drive die Gefahr, dass das Erbgut einer natürlichen Population irreversibel und unkontrollierbar verändert wird.5
Auskreuzung über Artgrenzen hinweg
Gene Drives sind auf das Erbgut einer einzelnen Art zugeschnitten, doch in vielen Fällen kann eine Auskreuzung über Artgrenzen hinweg kaum verhindert werden.
So gehört die malariaübertragende Mücke Anopheles gambiae zu einem Komplex aus sieben verschiedenen Unterarten, die sich genetisch sehr ähnlich sind und miteinander fruchtbare Nachkommen hervorbringen können.6 Ein Gene Drive von Target Malaria zielt auf die Störung des Gens Doublesex ab, welches im Laufe der Evolution der Mückenart nur wenig Veränderungen erfahren hat. Dieser Ansatz könnte alle sieben verwandten Mückenarten an den Rand der Ausrottung treiben, obwohl mindestens Art die Malaria nicht überträgt.7
Ein ähnliches Risiko besteht bei Fruchtfliegen der Gattung Drosophila, die bei der Entwicklung und Anwendung von Gene Drives eine zentrale Rolle spielen. Seit über 90 Jahren ist bekannt, dass sich unterschiedliche Drosophila Arten kreuzen und fruchtbare Nachkommen hervorbringen können.8 Tausende weitere Tier- und Pflanzenarten bilden natürliche Hybride, so dass der Einsatz von Gene Drives nicht auf eine Art beschränkt bliebe, sondern auch auf deren engere Verwandte übergehen könnte.
Unerwartete Effekte von CRISPR/Cas9
Viele Gene Drives nutzen das gentechnische Werkzeug CRISPR/Cas9, um an definierten Stellen des Erbgutes einen Doppelstrangbruch zu erzeugen. Dieses Werkzeug funktioniert jedoch nicht fehlerfrei.9 CRISPR/Cas9 kann die Aktivität des Zielgens auf unvorhersehbare Weise ändern, die Mutationsrate im Genom erhöhen, zu unerwarteten Mutationen führen oder durch auftretende Resistenzen in seiner Funktion gestört werden. Vermehrt berichtet wird beispielsweise über sogenannte off-target Effekte, unbeabsichtigte Veränderungen an Nicht-Zielsequenzen, die beim Anwenden des CRISPR/Cas Systems auftreten können.10
Die gentechnischen Veränderungen treffen darüber hinaus nicht nur den Zielbereich, sondern häufig auch andere Bereiche im Erbgut..11 Das kann unter anderem daran liegen, dass es in wilden Populationen mehr Sequenzen im Erbgut gibt, an denen CRISPR/Cas9 andocken kann, als die hierfür eingesetzten Computerprogramme im Labor ermitteln konnten. Gene Drives können deswegen zur Entwicklung von Organismen mit nicht vorhersagbaren Eigenschaften führen.12
Ausbildung von Resistenzen gegen den Gene Drive
CRISPR/Cas basierte Gene Drives suchen nach einer eindeutig definierten DNA-Sequenz, an der sie das Erbgut schneiden sollen. Bereits einzelne Mutationen an dieser Sequenz können deshalb das Ziel für sie unerkennbar machen. Der Organismus wird dadurch gegen den Gene Drive resistent. Solche Resistenzen können entstehen, wenn der durch CRISPR/Cas9 erzeugte DNA- Doppelstrangbruch durch die Zelle fehlerhaft repariert wird und die Zielsequenz verändert. Resistenzen könnten aber auch natürlicherweise vorkommen, besonders bei Populationen mit einer hohen genetischen Vielfalt.
Trifft ein Gene Drive auf eine Resistenz, wird er an diesem Punkt abbrechen und nur einen Teil der Population verändern. Ob er jedoch wieder vollständig verschwindet, hängt von der Zahl der bereits veränderten Individuen und den Nachteilen ab, die der Gene Drive für deren Überleben mit sich bringt. Es ist also durchaus möglich, dass der Gene Drive trotz einer Resistenz noch lange in einer Tierart überdauert.
Unvorhersehbare Auswirkungen auf Ökosysteme
Jedes Lebewesen, selbst wenn es Menschen gefährlich oder schädlich erscheint, erfüllt wichtige Aufgaben in seinem Lebensraum. Die Ausrottung oder auch nur Manipulation einer Art wird daher Folgen für das gesamte Ökosystem haben.
Dies lässt sich am Beispiel der Mücken gut verdeutlichen. Sie bilden im Laufe ihres Lebenszyklus wichtige Nahrungsquellen für verschiedene Tiere. Im Wasser lebende Mückenlarven sind beispielsweise eine Futterquelle für Wasserwanzen, Käfer, Fliegen, Spinnen, Plattwürmer, Kaulquappen, Fische und Krustentiere. Von den Larven der afrikanischen Malariamücke Anopheles gambiae wird angenommen, dass etwa 95 Prozent vor dem Erwachsenwerden verzehrt werden.13 Auch die ausgewachsenen Mücken sind eine wichtige Futterquelle und werden u.a. von Libellen, Spinnen, Fledermäuse und Vögel verzehrt. In der Camargue, einem Naturschutzgebiet in Südfrankreich, hat die Dezimierung von Mücken mit einem biologischen Schädlingsbekämpfungsmittel dazu geführt, dass auch die Zahl und Vielfalt von Vögeln und Libellen reduziert wurde.14 Auch eine Rolle bei der Bestäubung von Pflanzen kann nicht ausgeschlossen werden, da sich ausgewachsene Mücken unter anderem von Nektar ernähren.15 Die Rolle der Mücken in ihrem engmaschig verknüpften Ökosystem ist bislang kaum untersucht, die Folgen einer möglichen Ausrottung sind daher nicht absehbar.
Diese Folgen können auch den Menschen betreffen: Wird eine Mückenart verdrängt, können sich andere Arten, die gegebenenfalls noch gefährlichere Krankheiten übertragen, stärker ausbreiten. Derartige Risiko-Szenarien sind bezüglich der Bekämpfung der das Dengue-Fieber übertragenden Gelbfiebermücke (Aedes aegypti) in Nordamerika und Brasilien bekannt, die in Konkurrenz zur invasiven asiatischen Tigermücke (Aedes albopictus) steht.16 Sollte die Gelbfiebermücke verschwinden, könnte dies die Ausbreitung der Tigermücke noch befördern, die nicht weniger gefährlich ist und ebenfalls das Dengue-Fieber überträgt. 17
Doch auch wenn eine Art nicht ausgerottet wird, bergen Gene Drives erhebliche Risiken: Ändern sich die Eigenschaften der Organismen ungewollt, können sie beispielsweise vitaler werden, ihr Verhalten verändern, vermehrt Krankheiten übertragen oder auch den Lebensraum anderer Arten stören oder gar zerstören. Weil die jeweiligen Arten eng mit ihren Ökosystemen verknüpft sind, lassen sich die Auswirkungen von unkontrollierten Ausbreitungen kaum verlässlich vorhersagen.18
2. Plattwürmer
3. Kaulquappen
4. Fische
5. Schalentiere
6. Verwesende Pflanzenteile
7. Aquatische Mikroorganismen
8. Käfer
9. Wasserwanzen
10. Fliegen
12. Vögel
13. Fledermäuse
14. Blut (nur weibliche Mücken)
15. Libellen
16. Nektar
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