Was geschah mit Gene Drives bei der COP15 der UN-Konvention über die biologische Vielfalt?
Im Dezember 2022 versammelten sich Staaten aus aller Welt im verschneiten Montreal, um über den Schutz und die Erhaltung der biologischen Vielfalt bis 2030 zu verhandeln. Was hatten sie über neue Technologien wie Gene Drives zu sagen?
Das Rahmenwerk zur Erhaltung der biologischen Vielfalt für die Zeit nach 2020 (Post-2020 Biodiversity Framework, GBF) wurde oft als „Durchbruch“ bezeichnet, um den Verlust der biologischen Vielfalt aufzuhalten. Doch die Diskussionen und Entscheidungen in Montreal zu synthetischer Biologie hinterließen bei vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen, wie der Stop Gene Drives Kampagne, einen bitteren Nachgeschmack.
Biotechnologie-Giganten wie Brasilien und Argentinien verhandelten hartnäckig, um jegliche Erwähnung des Vorsorgeprinzips und der Risikobewertung aus allen Texten zu streichen. Stattdessen wurde beharrlich, wo immer es möglich war, das Dogma der „Innovation“ hineingeschrieben. Somit bleibt der Welt nach fünf Arbeitsgruppen (Open Ended Working Groups) im Laufe von drei Jahren und zwei Wochen COP15-Diskussionen ein Ziel 17 zur Biotechnologie, das nichts weiter tut, als die CBD-Konvention von 1992 zu zitieren. Zwei der Unterhändler an den Verhandlungstischen in Montreal witzelten darüber, dass sie in der Zeit geboren wurden und illustrierten damit wie sich die Welt der Biotechnologie seit 1992 weiterentwickelt hat. Leider scheint der neue Post-2020-Rahmen für die biologische Vielfalt nicht mit dieser Entwicklung Schritt zu halten.
In Montreal lief jedoch nicht alles schlecht. Neben der Verabschiedung des Post-2020 GBF gelang es der COP15, eine neue multidisziplinäre technische Ad-hoc-Expert:innengruppe für Horizon Scanning, Überwachung und Technologiebewertung der synthetischen Biologie anzuberaumen. „Fachleute aus einem breiten Spektrum wissenschaftlicher Disziplinen sowie interdisziplinäres und interkulturelles Fachwissen, indigene Völker und lokale Gemeinschaften“ sollen in den Prozess einbezogen werden.
Ein weiterer erfreulicher Aspekt ist, dass die Resolution der COP14 zu Interessenkonflikten Anwendung finden wird, um die wissenschaftliche Integrität und Unabhängigkeit der Expert:innengruppen zu gewährleisten. Diese Resolution entstand nachdem die Gene Drives Files (= publik gemachte Dokumente, die aufzeigen, dass die Bill and Melinda Gates Foundation eine Public-Affairs-Firma aus der Agrarindustrie finanziert hat, um im Rahmen der CBD einen Expert:innenprozess verdeckt zu beeinflussen, damit GDOs nicht reguliert werden) enthüllt wurden. Dies ist ein Versuch, die Teilnahme von so genannten „unabhängigen“ Wissenschaftler:innen, die im Auftrag von Philanthropen und Milliardären handeln, in CBD-Expert:innengruppen einzuschränken.
Parallel zur COP15 wurde die elfte Konferenz der Vertragsstaaten des Cartagena-Protokolls (CP-MOP 10) abgehalten. Dieses Protokoll regelt Fragen der biologischen Sicherheit. Gene Drives stellen im Vergleich zu den „klassischen“ gentechnisch veränderten Organismen, die unter das Protokoll fallen, neue, unbekannte Herausforderungen dar. Dementsprechend wurde in Montreal eine technische Ad-hoc-Expert:innengruppe beauftragt zusätzliche Leitlinien für die Risikobewertung und das Management von Gene-Drive-Organismen zu erarbeiten.
Der Schwerpunkt dieser Gruppe wird auf Gene-Drive-Mücken liegen, da bei ihnen die Entwicklung von Gene-Drives bisher am weitesten fortgeschritten ist. Diese Leitfäden sind freiwilliger Natur, werden aber dazu beitragen, die Risikobewertung weltweit zu verbessern und hoffentlich offene Fragen, Bedenken und Herausforderungen in Bezug auf die Auswirkungen von Gene Drives auf die Umwelt aufdecken.
Was liegt vor uns?
Die nächsten ein bis zwei Jahre sind entscheidend für die (multidisziplinären) technischen Expert:innengruppen, die Biotechnologien wie Gene Drives untersuchen und an Leitlinien arbeiten. In der Zwischenzeit können Regierungen und ihre Institutionen, indigene Völker und lokale Gemeinschaften sowie Organisationen der Zivilgesellschaft Informationen einreichen, die von den Expert:innengruppen berücksichtigt werden sollen. Diese Akteur:innen können sich auch direkt an Online-Foren beteiligen, um ihre Bedenken und offenen Fragen zur synthetischen Biologie und zu Gene Drives vorzubringen.
Auf der nächsten COP (16) in der Türkei werden die Staaten darüber diskutieren, ob der Prozess des Horizon Scanning und der Technologiebewertung fortgesetzt werden soll. Außerdem werden sie die Indikatoren vorstellen, mit denen die Fortschritte bei der Erreichung von Ziel 17 gemessen werden sollen. Wir sind gespannt, wie die „erfolgreiche“ Verwirklichung dieses Ziels gemessen wird und für welche Art von Maßnahmen die Regierungen eine Finanzierung erhalten können.
Kurz gesagt, es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder könnte die UN CBD weiterhin Risikobewertungen für neue Technologien wie Gene Drives fordern, um alle Auswirkungen auf die biologische Vielfalt messen zu können; oder der Prozess wird abgekürzt, und es wäre keine Risikobewertung von Gene Drives mehr gewährleistet.
Wenn es um Gene Drives im Rahmen des Cartagena-Protokolls geht, hoffen wir, dass der Prozess wahrhaftig dazu beiträgt, die nationalen Regierungen besser für die Risikobewertung von Gene Drives zu rüsten.
Weitere COP bezogene Posts/Artikel der Stop Gene Drives Kampagne:
ECO Artikel während der COP15 (auf Englisch):
01.12.2022 Gene drives are the opposite of nature conservation
05.12.2022 Ecuador’s Galápagos Islands are not a laboratory for testing risky gene drive organisms
07.12.2022 All CBD watchdogs should guard against synthetic biology threats to biodiversity
10.12.2022 Brazilian intransigence on biotech is a violation of human rights
18.12.2022 Snowman to snow-mess: negotiations at COP15 are opening doors to risky technologies
Blogpost im Vorfeld der COP15 (auf Englisch):